Diese Geschichte wurde mir von einer Mutter anlässlich des „Roses Revolution Day“ zur Verfügung gestellt:
„Mach dir keine zu genauen Vorstellungen von der Geburt. Es kommt sowieso ganz anders. Lass es auf dich zukommen.“ Dieser Rat meiner Hebamme wurde bald zu meinem eigenen Mantra, mit dem ich mich selbst beruhigte und an das ich mich in Situationen mit Freundinnen und Müttern, die mir ihre Geburtserlebnisse geradezu aufdrängten, stets erinnern musste, um nicht vollkommen durchzudrehen. „Lies‘ nicht so viel, lass es auf dich zukommen“ – Ein weiterer Ratschlag, den ich aber nicht beherzigen wollte. Immerhin war es meine erste Schwangerschaft, mein erstes Kind, das ich zur Welt bringen würde. Noch dazu war es ein Kind, das sich gegen meine Kupferspirale durchgesetzt hatte und durch dieses unerwartete, ungeplante Ereignis doch einiges auf den Kopf stellte. Sämtliche Bücher und Internetforen las ich, um endlich erfahren zu können, wie sich nun die Wehen anfühlen, wie sie von anderen Kontraktionen zu unterscheiden sind und wann es wirklich allerhöchste Eisenbahn ist, sich ins Auto zu setzen. „Ob es diesmal wirklich losgeht?“, dachte ich bei jedem der 10 Male, bei denen wir uns auf den Weg zum Klinikum machten. Meine Symphysenschmerzen in den letzten Schwangerschaftswochen machten es mir besonders schwer, ein Gefühl für „untenrum“ zu entwickeln. Heute weiß ich, dass ich sie definitiv gemerkt hätte, die „richtigen“ Wehen. Umso besser, dass die Geburt mit einem vorzeitigen Blasensprung begann. Um 4Uhr morgens, nach einer weiteren schlaflosen Nacht, 4 Tage nach ET.
Schon fast ungläubig, dass ich dieses Mal tatsächlich im Klinikum bleiben und gleich ein Zimmer beziehen durfte, schickte ich meinen Freund noch einmal zum Auto, um die seit Wochen gepackte Kliniktasche zu holen. „ Versuchen Sie zu schlafen.“ Ich war auf alles eingestellt. Von meiner Frauenärztin wurde ich bereits darauf hingewiesen, dass ich im Falle eines Blasensprunges nicht mehr allein Auto fahren solle, da die Wehen plötzlich und heftig eintreten können. Aber NICHTS geschah. Keine Kontraktionen, keine Schmerzen, keine Aufregung. Die Ruhe vor dem Sturm? Die Freude über ein leeres Stationszimmer war von kurzer Dauer: Meine zukünftige Bettnachbarin kam 8 Stunden nach mir – auch mit Blasensprung, aber bereits einsetzenden Wehen – ins Zimmer und begab sich direkt ins Badezimmer, wo sie sich bereits vor Schmerzen übergeben und auf dem Boden wälzen musste. Sie heulte wie ein Wolf. Ich dagegen wunderte mich über Fettflecken an der Fensterscheibe und darüber, dass ich noch ein Mittagessen bekam. 10 Stunden waren vergangen, eine große Runde über das Klinikgelände, ein weiteres CTG und eine weitere Untersuchung. Schon wieder kein neuer Befund als „Muttermund fingerkuppendurchlässig“. Nach 12 Stunden ohne Wehentätigkeit sollte ich „eingeleitet“ werden. Nun sagte die leitende Hebamme, ich solle nicht unnötig länger warten, die zwei Stunden könne sie mir ersparen. „Keine zu genauen Vorstellungen – lass es auf dich zukommen“ Plötzlich schossen mir die schlimmsten Horror-Geburtsgeschichten in den Kopf („Einleiten ist das Schlimmste – die Wehen sind viel heftiger“). Sollte ich nicht lieber warten, bis die Wehen von selber einsetzten? Jetzt merkte ich, dass ich mir die ganzen letzten Wochen unterbewusst bereits sehr genaue Vorstellungen gemacht hatte: Ich wollte eine natürliche Geburt, ohne künstliche Hilfsmittel, ohne Medikamente. Ich wollte alles miterleben, so wie es kommt. Ich war das erste Mal verunsichert, unter Druck, eine Entscheidung zu fällen. „Ich möchte lieber warten“ sagte ich, ging zurück ins Zimmer und nur einige Sekunden später bereute ich meine Entscheidung. Was die Hebamme sagt, muss richtig sein. Immerhin müsste ich so nicht mehr ewig auf mein Kind warten. Dass zu dem Zeitpunkt noch 26 Stunden vor mir lagen, hätte ich nicht ahnen können. Also Pille schlucken und abwarten.
Schnell wurde mir klar woher die Fettflecken an der Fensterscheibe kamen und verewigte mich gleich daneben. Denn die Wehen (und „Oh ja, man weiß dann schon, dass sie es sind“) setzten sofort so heftig ein, dass ich das Bedürfnis hatte mich mit dem Kopf gegen irgendetwas –die Wand, den Tisch, den Stuhl, meinen Freund und ja, auch gegen die Fensterscheibe – zu stemmen. Meine Bettnachbarin war bereits im Kreißsaal. So war das Bad frei und ich nahm schon bald ihre vorherige Position ein – heulend und auf dem Boden kauernd. Da lag ich nun und wartete schmerzerfüllt auf die erlösenden Worte der Hebamme (inzwischen schon die Dritte nach zwei Schichtwechseln), die zuvor meine Bettnachbarin hören durfte: „Sie müssen keine Schmerzen haben, kommen Sie mit in den Kreißsaal, ich gebe Ihnen gerne etwas gegen die Schmerzen“. Stattdessen gab es für mich keinen Kreißsaal, nur Zäpfchen ohne besondere Wirkung und stündlich weitere Untersuchungen, mit dem immer gleichen Befund: Muttermund 1 cm. Ich wollte trotzdem in den Kreißsaal. Vor allem, weil ich glaubte die anderen Frauen in den Zimmern mit ihren Neugeborenen mit meinem Gekreische zu stören. Und vielleicht auch, weil ich mir sicher war, längst in der gleichen Situation wie zuvor meine Bettnachbarin zu sein. Trotzdem dauerte es für mich noch eine Ewigkeit, bis auch ich durch diese ominöse Doppeltür gehen durfte. Und das eigentlich nur, weil noch ein Kreisbett frei war, das niemand anderes gerade dringender brauchte. Inzwischen war es schon dunkel geworden. 8 Stunden harte Wehenarbeit, Globuli, Zäpfchen, schließlich auch Spritzen lagen hinter mir und es wurde immer heftiger. Als ich mich nochmals auf den Flur begab, um nach weiteren Schmerzmitteln zu fragen, kam mir völlig entgeistert eine andere Hebamme entgegen. Es war wieder Schichtwechsel, es wurden Klemmbretter ausgetauscht und mit einem Blick an mir vorbei sagte sie: „Was macht DIE denn schon hier?“ – „Die hatte solche Schmerzen und das Zimmer war frei“ – Augenverdrehen. Ich höre mich leise sagen: „Könnte ich bitte eine PDA bekommen?“ – Keine Reaktion. Von weiter weg höre ich eine Diskussion „Das würde ich aber erst ab 3 cm machen, die hat sie noch nicht.“ – „Aber der Anästhesist ist gerade nebenan. Da spart er sich den Weg.“ Ich gehe zurück, kreise auf dem Ball und versuche die kommende Wehe „weg zu atmen“, bin wieder völlig verunsichert. „Vielleicht sollte ich doch keine PDA nehmen. Ich wollte doch sowieso keine künstlichen Mittel haben“, sage ich zu meinem Freund. Der lächelt mich nur an und fragt: „Und was waren die drei dicken Spritzen, die du schon hattest?!“
„Aber ich dachte eine PDA bekommt man erst nach 3 cm?!“, höre ich mich fragen. „Das muss nicht immer sein“, beruhigt mich der Anästhesist. „Wir machen das schon.“ – „Wird das wehtun?“ – „Dann nicht mehr, versprochen!“ Und er sollte Recht behalten. Nach diesem Eingriff mit einem gefühlt 10 cm breiten Schlauch im Rücken spürte ich nichts – gar nichts. „Immer schön aufs Knöpfchen drücken, am besten alle halbe Stunde“ sagte die Hebamme, die mich zuvor gehalten und mir beruhigend den Kopf gestreichelt hatte, den ich ihr bei der Platzierung der PDA in den Bauch drücken sollte. „Und jetzt ruhen Sie sich aus, sammeln Sie Kräfte.“ Leichter gesagt als getan, wenn man sich wachhalten muss, um regelmäßig die sogenannte „Walking PDA“ am Laufen zu halten, um ja nicht wieder von diesen unsäglichen Schmerzen heimgesucht zu werden. An einen tiefen, erholsamen Schlaf war ohnehin nicht zu denken. „Was passiert, wenn die Presswehen kommen? Spüre ich die dann überhaupt noch?“ Ich fand das war eine berechtigte Frage, da ich so, im Kreisbett liegend und betäubt, nicht einmal mein Bein aus eigener Kraft aufstellen konnte. „Darüber unterhalten wir uns, wenn es soweit ist.“, sagte sie und stellte den Wehentropf an …
Um 4 Uhr morgens – 24 Stunden nach dem Blasensprung – fiepte das CTG und zeigte ein Fragezeichen an, das Pochen der kindlichen Herztöne war nicht zu hören. Ich war ja nun zuvor schon einige Male an diesem Gerät angeschlossen. Oft war der Gurt an meinem Bauch verrutscht und so konnten keine Herztöne aufgezeichnet werden. Aber der Hektik der beiden Geburtshelferinnen und der Anzeige am CTG zufolge lag es wohl nicht am verrutschten Gurt. Was mir nun alles durch den Kopf schoss, als der Wehentropf prompt ausgeschaltet wurde, ist nicht in Worte zu fassen. Ich kann mich auch nicht erinnern, wie lange es dauerte – da hörte ich das zarte Herzklopfen meines Kindes wieder. Dem Himmel sei Dank. „Was ist da passiert?“ – Eine Antwort habe ich bis heute nicht, in meinem späteren Geburtsbericht steht nur: suspektes CTG.
Dann zum Morgen wieder ein Schichtwechsel: Neue Hebamme, neues Glück. Tatsächlich mal eine halbe Stunde geschlafen, erinnere ich mich gerade an die Schreckenssekunden (oder –minuten?) aus der Nacht. Da kommt sie hereingestürmt: „Glauben Sie wirklich eine Geburt darf nicht wehtun?“ Ich bin etwas verdutzt. Wenig später erklärt sie mir: „Ihre PDA wurde zu früh gesetzt. Das weiß doch jeder, dass das nichts bringt.“ Jeder… Ich weiß doch überhaupt nichts, dachte ich. „Das haben Sie nun davon: Geburtsstillstand“. Ich fiel aus allen Wolken. Gerade noch dachte ich, ich sei einigermaßen gekräftigt, um die nächsten Schritte anzugehen, da fing ich zu weinen an. War alles vergebens, die ganzen Stunden voll Schmerzen und Ungewissheit? Hätte ich die PDA nicht setzen lassen dürfen? Konnte ich es wirklich selbst entscheiden? Hätte ich die Schmerzen nicht einfach noch ein wenig aushalten können? Mit all diesen Fragen, dieser Unsicherheit, und schließlich der ungemeinen Verletztheit über die Worte der Hebamme, ließ sie mich allein. Schließlich kam sie wieder und meinte „Was haben Sie denn?“ – „Was glauben Sie, was ich hinter mir habe?! Ich habe 8 Stunden gekämpft, wollte nie Schmerzmittel oder sonstiges. Jetzt habe ich einen Schlauch im Rücken, liege hier wie ein gestrandetes Walross, kann mich nicht bewegen. Ich weiß nicht wie es weitergehen soll. Ich mache mir Sorgen…“ , wimmerte ich unter Tränen. „Ach, stellen Sie sich nicht so an. Glauben Sie mir, eine Geburt tut immer weh. Wenn nicht dabei, dann danach. Sie können mir das glauben. Ich habe drei Kinder.“ Ich finde noch immer keine Worte für diese Reaktion. Ich glaube im Nachhinein waren mir die Worte der Nacht-Hebamme lieber. Natürlich war mir klar, dass ich das Kind nicht ohne Schmerzen und Anstrengung zur Welt bringen würde, aber was brachte mir die persönliche Erfahrung und Glaubwürdigkeit einer dreifachen Mutter, wenn sie nicht in der Lage war, mich von meinen Ängsten zu befreien und wenn sie mir obendrein noch die Verantwortung für den Geburtsstillstand zuschrieb. Zumal für die Entscheidung für und das Legen der PDA nicht ich allein verantwortlich war. Unverstanden fühlte ich mich nicht zuletzt, als die Hebamme mir schließlich versuchte einzureden, dass ich ja überhaupt kein Walross, sondern eine ganz schlanke Frau sei…
Im Nachhinein glaube ich, dass der Geburtsstillstand von dem „suspekten CTG“ rührte, bei dem der Wehentropf prompt abgestellt wurde. Denn sobald dieser wieder eingeschaltet wurde, spürte ich wieder die Wehen und endlich öffnete ich mich. Ohne mich zu fragen, wurde das Kreisbett umgebaut und die Beinhalterungen montiert. Alles lief so selbstverständlich, dass ich mich nicht mehr traute, nachzufragen. Sämtliche Positionen wurden von der Hebamme vorgeschrieben. Kaum hatte ich in ihrer Abwesenheit etwas daran verändert, wurde ich angehalten, es besser so oder so zu machen. Es folgten noch weitere 6 Stunden Wehen, bei denen sich der Muttermund immer weiter öffnete und ich begann allmählich, den Druck nach unten zu spüren. Als die Hebamme nun fragte, wann ich denn endlich mein Kleid ausziehen wolle, entgegnete ich nur kurz: „Das behalte ich an!“ Für mich war das der letzte Funke Selbstbestimmung, egal wie warm und durchgeschwitzt es war.
Noch vor den Presswehen kam es zu einem letzten Schichtwechsel. Ich hatte keine besondere Erwartung mehr, nachdem ich nun gefühlt das gesamte Klinikpersonal kennengelernt hatte und mich fragte, wann ich einer Geburtshelferin zum zweiten Mal begegnen würde… Da kam sie, meine Rettung: eine Hebamme, die mich in den letzten Stunden ruhig und gelassen, vertrauensvoll und zugewandt begleitete. Bei allem Stress, der uns noch bevorstand, blieb sie stets ruhig und keinesfalls übergriffig. Auch nicht, als plötzlich außer uns 6 weitere Personen, darunter die Oberärztin, im Kreißsaal standen, um mir „mal eben ein wenig [zu] helfen“. Da ich ohnehin keine Kraft mehr hatte, die PDA ihre Wirkung verlor und ich meine Selbstbestimmung wohl schon mit der vorzeitigen Geburtseinleitung über Board geworfen hatte, ließ ich es zu, mir „mal eben“ helfen zu lassen, ohne noch nachzufragen, wie das denn ablaufen würde. Von allen Seiten wurde an mir herumgerissen, die eine zog von unten, die andere schmiss sich mit ihrem ganzen Körpergewicht auf meinen Bauch, mein Freund half mir beim Pressen den Kopf hochzunehmen. Ich verlor kurz das Bewusstsein, erwachte und wusste nicht mehr, wo oben und unten, wann zu pressen und wann zu atmen war. Ich wurde von allen Seiten angeschrien. Es zerriss mich – wortwörtlich. Schließlich war der Kopf geboren, mein Freund sah ihn und feuerte mich auf den letzten Metern an.
Meine Tochter kam am 15.08.2016 um 15:46 nach 36 Stunden mithilfe einer Saugglocke zur Welt. Ich trug Geburtsverletzungen davon – die körperlichen waren schnell verheilt, die seelischen nicht.
Trotz allem bin ich stolz auf mich und überglücklich, dass meine Tochter nun neben mir liegt, vor sich hin strampelt, laut atmet und mich voll Lebensfreude anlacht.
#rosrev
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