Post aus dem Apfelgarten

Tabuthema Fehlgeburt – meine Geschichte.

„Ich finde keinen Herzschlag.“ Mein neuer Frauenarzt sah mich mit echtem Bedauern im Gesicht an, aber das konnte dieser Nachricht nicht ihre furchtbare Botschaft nehmen: mein Baby ist tot.Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Embryo_week_9-10.jpgMeine Welt brach zusammen. Ich war zum ersten Mal schwanger und grade mitten in der neunten Schwangerschaftswoche.

„Sind sie ganz sicher, dass bei der letzten Untersuchung ein Herzschlag zu sehen war?“ Ich hatte den Frauenarzt gewechselt und dies war mein erster Besuch bei ihm, meinem Neuen. Meine vorherige Ärztin war mir zu unfreundlich und so hatte ich mich entschieden, den Arzt lieber früher als später zu wechseln. Beim letzten Termin und Ultraschall hatte die vorherige Ärztin mir zum ersten Mal den Herzschlag meines Babys gezeigt.

Der Gynäkologe sucht mit dem Ultraschallgerät noch eine Weile weiter, aber vermutlich eher um mir etwas Zeit zu geben, die Botschaft zu verdauen als um sich selbst seiner Diagnose zu versichern. Mir liefen die Tränen das Gesicht hinunter, still und leise, aber unaufhaltsam. In meinem Kopf wiederholte sich ein einziges Wort, ein einziger Gedanke immer und immer wieder: „Nein! Nein, nein, nein, nein, nein…“. Fehlgeburten sind etwas, das anderen passiert, dachte ich. Ich hatte nie auch nur die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass mir so etwas passieren könnte. Das ich so etwas furchtbares, trauriges jemals erleben müsste.

Mein Frauenarzt fing an von einer Ausschabung zu reden, mich aufzuklären, was auf mich zu kommt, welche die nächsten Schritte sein werden. Ich war wie betäubt. Ich hörte ihn reden und mich selbst antworten „Ich brauche noch Zeit.“. Der Gedanke, mein Baby, mein geliebtes Baby, für das ich eben noch geplant hatte, welches Zimmer in der neuen Wohnung am besten das Kinderzimmer werden sollte, war tot. Kein Zweifel möglich.

Trotzdem war ich völlig in der ersten Phase der Trauer gefangen: im Nicht-wahrhaben-wollen. Ich googelte Fälle, in denen zweite und dritte Meinungen eingeholt wurden und sich dann doch irgendwann ein Herzschlag gezeigt hatte. Ich zog in Erwägung mir Termine bei anderen Gynäkologen zu machen um vielleicht doch noch eine andere Diagnose zu bekommen als die, die ich nicht ertragen konnte, die mir mein Herz zerriss.

Aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass es stimmte, dass mein Baby nicht mehr lebte und das auch keiner zweiter, dritter, vierter Ultraschall etwas daran ändern kann. Ich wollte es nur nicht wahrhaben – ich konnte nicht.

Ich telefonierte mit meiner Familie und den Freunden, denen ich bis zu diesem Zeitpunkt schon von der Schwangerschaft erzählt hatte. Ich musste meinen Schmerz und meine Verzweiflung teilen, ich musste die anderen informieren, aber vor allem musste ich mir selbst immer und immer wieder die Fakten sagen, sie mich selbst immer wieder sagen hören, damit ich sie irgendwann verstehen und glauben konnte.

Ich glaube, soviel wie in der Woche nach dieser niederschmetternden Diagnose habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht am Stück geweint. Gleichzeitig fühlte ich mich innerlich vollkommen leer und nach wie vor wie betäubt. Gleichzeitig ging ich im Kopf immer und immer wieder alles durch, was ich in der Schwangerschaft unter Umständen falsch gemacht haben könnte. Hatte ich etwas gegessen oder getrunken, dass dem Baby nicht gut getan hatte? Hatte ich mir beim Umzug doch zu viel zugemutet? Irgendwann einmal zu schwer gehoben oder getragen, nicht genügend Vitamine genommen oder mich nicht ausreichend ausgeruht? Diese Gedankenspiralen waren die Symptome der Frage, die ich mir eigentlich die ganze Zeit stellte, aber ich die kaum zu denken wagte: war ich irgendwie verantwortlich dafür, dass das passiert war?

10 Tage später musste ich die Ausschabung machen lassen. Mein Körper – und sicherlich auch mein Geist – konnte das Baby nicht von alleine loslassen, obwohl ich mir das so sehr gewünscht hatte. Er konnte, genauso wenig wie ich selbst, die Tatsache akzeptieren dass dieses Baby, dessen Name schon feststand und dass ich, seitdem ich von ihm wusste mehr geliebt hatte als irgendeinen anderen Menschen auf diesem Planeten – mich eingeschlossen – niemals das Licht der Welt erblicken würde.

Die Operation verlief problemlos und die Blutungen und Schmerzen im Anschluss ließen sich mit genügend Ibuprofen einigermaßen ertragen. Eine Woche später musste ich zur Nachuntersuchung in die Praxis meines Arztes. Er erzählte mir, dass mein Baby eine schwere Form von Trisomie gehabt hat, mit der es nicht lebensfähig gewesen wäre. Mein Körper hat sich also entschieden, die Schwangerschaft nicht fortzuführen, da er rechtzeitig bemerkt hat, dass mein Baby krank war.

Ich ging aus der Praxis – und zum allerersten Mal seit ich mir mein Gynäkologe gesagt hatte, dass er keinen Herzschlag findet, fühlte ich mich ein kleines bisschen besser. Mein Baby war tot, und über diesen Schmerz werde ich wohl nie ganz hinweg kommen. Aber es war zumindest nicht meine Schuld.“

Fehlgeburten sind auch 2016 noch sehr häufig ein Tabuthema. Viele Mütter halten sich nach wie vor an die ungeschriebene Regel, dass man erst nach den ersten 12 Wochen „öffentlich“ von einer Schwangerschaft berichtet – und sich auch erst nach dieser Zeit so richtig freuen darf und soll. Aber auch Mütter, die ihr Baby in diesen ersten 12 Wochen wieder verlieren sind trotzdem Mütter, die den Tod ihres Babys betrauern. Dies tun sie häufig eher „heimlich“, da sich viele eben nicht trauen, überhaupt von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Entsprechend ist dann auch kaum jemand da, der sie trösten kann, wenn so etwas schreckliches passiert.

Der Tod ist ein Tabuthema – aber Trauer muss gelebt und verarbeitet werden, damit man mit ihr irgendwann, für sich selbst, gut umgehen können will. Und dafür ist es nötig, dass man reden kann und darf.

Ich möchte mit meiner Geschichte Mut machen, dass sich Mütter, die eine Fehlgeburt hatten, wirklich als Mütter fühlen (dürfen) und dass sie auf offene Ohren und Unterstützung treffen, wenn ihr Kind stirbt – ganz egal wie alt es ist!

Website Kommentare

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1 Comment

  • Reply
    Sabrina
    7. Juni 2019 at 08:48

    vielen Dank dass du deine Geschichte mit der Welt teilst… als das Baby meiner Schwägerin gestorben ist, war die 1. große Untersuchung um die 12. Woche rum, wurde auch festgestellt, dass es keinen Herzschlag mehr hatte. Sie war völlig am Boden zerstört, noch dazu kannte sie selbst auch niemanden, dem eine Fehlgeburt widerfahren ist. Ich selbst fühlte mich ziemlich hilflos und sprach mit einigen Freundinnen darüber. Eine von ihnen, die schon ein 2-jähriges Kind hat, erzählte mir auch erstmalig, dass sie eine Fehlgeburt zuvor hatte. Und mit niemandem darüber sprechen konnte, außer mit ihrem Partner.
    Ich finde es traurig dass dieses Thema ein Tabu ist. Die Trauer über diesen Verlust vermag ich mir garnicht vorzustellen, da ich selber (noch) kinderlos bin, aber ich wünsche mir, dass eines Tages offen darüber gesprochen werden kann und die Eltern in ihrem Schmerz öffentliche Anerkennung und Unterstützung erhalten.

    Danke dass du einen Anfang gemacht hast.

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